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Kévin Estre über seinen WEC-Titel 2024, seine Zeit bei Porsche und das Leben außerhalb des Rennsports

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WEC
Porsche Penske Motorsport

Wir haben uns vor der neuen Saison mit Kévin Estre, dem Meister der Langstrecken-Weltmeisterschaft 2024 getroffen, um über seinen Titelgewinn zu sprechen und mehr über den Mann unter dem Helm zu erfahren.

Es waren turbulente 12 Monate für Kévin Estre. Nach dem Sieg beim Saisonauftakt der FIA Langstrecken-Weltmeisterschaft in Katar haben er und seine Teamkollegen im Auto #6, André Lotterer und Laurens Vanthoor, ein Wechselbad der Gefühle auf dem Weg zur Meisterschaft durchlebt.

Mit drei zweiten Plätzen, einem weiteren Sieg in Fuji und der begehrten Pole-Position bei den legendären 24 Stunden von Le Mans - eine Runde, die viele als die beste des Jahres bezeichneten - war es für den Franzosen eine herausragende Saison, da er sich einen seiner größten Träume erfüllte: Die Meisterschaft in der Topklasse des Langstreckensports zu gewinnen.

Der Gewinn der Trophäe in Bahrain im November war das Ergebnis jahrelanger Arbeit, die als junger Kartfahrer in Lyon begann. Der junge Estre stieg in den Formelsport auf, wo er davon träumte, in der Formel 1 zu fahren, aber wegen der hohen Budgets entschied er sich stattdessen für Sportwagen.

Er begann im Porsche Carrera Cup Frankreich, wo er schnell gute Resultate einfuhr, darunter einen Sieg in seiner ersten Saison, bevor er 2011 Meister wurde. Es folgte der Porsche Mobil 1 Supercup, wo er 2012 Vizemeister wurde, bevor er im folgenden Jahr einen weiteren Titel im Carrera Cup gewann - dieses Mal in Deutschland.

Nach einer kurzen Zeit als McLaren-Werksfahrer stieß Estre 2016 zum Porsche Werkskader. Seitdem hat er Siege in drei der vier großen 24-Stunden-Rennen geholt und nennt als seine Highlights “den Gewinn der GT Pro in Le Mans 2018, den Sieg bei den 24 Stunden von Spa im Jahr 2019 und beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring 2021.”

“Als ich 2023 mit Porsche Penske Motorsport in die Hypercar-Klasse einstieg, wurde ein Traum für mich wahr, in der höchsten Klasse im Langstreckensport anzutreten. Und der Erfolg des letzten Jahres, zwei Rennen in der WEC zu gewinnen und Weltmeister in der Hypercar-Klasse zu werden, ist absolut das Größte, gemeinsam mit dem Sieg in Le Mans.”

Der Weg zum WM-Titel in der vergangenen Saison war für Estre alles andere als einfach. Lotterer, Vanthoor und er begannen das Jahr nach einem schwierigen Jahr 2023 “definitiv nicht sehr selbstbewusst”, erlebten dann aber eine “sehr angenehme Überraschung”, als sie den Saisonauftakt in Katar gewannen.

Auch in Imola blieben sie vorsichtig, da es eine “ganz andere Strecke war, die unserem Auto nicht liegen sollte”, aber sie beendeten das Rennen dank einer starken Strategie und einer guten Performance auf dem zweiten Platz.

“[Imola] spiegelte unsere Saison gut wider: Auch wenn wir nicht die Schnellsten waren, haben wir immer gut abgeschnitten und einige Punkte eingefahren, und somit das Beste aus dem Auto und unserer Performance herausgeholt”, sagte Estre.

“Das liegt an der großartigen Arbeit des Teams in Bezug auf die Boxenstopp-Strategie und daran, dass wir keinerlei Zuverlässigkeitsprobleme hatten. Ich bin nicht sicher, wie viele Stunden wir gefahren sind, vermutlich 50, aber wir hatten keine technischen Probleme an unserem Auto, die uns einen Nachteil bei der Leistung oder den Ergebnissen einbrachten.”

“Wir waren im gesamten Jahr konstant, das hat uns die Meisterschaft gewonnen.”

Danach wurde das Trio noch zweimal Zweiter, in Spa und São Paulo, während Estre sich bei den 24 Stunden von Le Mans eine beeindruckende Pole-Position sicherte. Obwohl das Trio als Vierte das Podium knapp verpasste, wurde seine Pole-Runde als eine der besten des Jahres gelobt.

In der Schlussphase der Meisterschaft war es ein weiterer Sieg in Fuji, der ihnen den Gewinn des Titels beim Saisonfinale in Bahrain ermöglichte - “ein sehr stolzer Moment und es ist toll, ihn mit Laurens und André geteilt zu haben”. Das Trio pflegte das ganze Jahr eine enge Beziehung und Lotterers Ausscheiden aus dem Team sorgte sogar für noch mehr Motivation, erfolgreich zu sein.

“Wir hatten im Auto und auch außerhalb viel Spaß, wir haben uns sehr gut verstanden”, sagte Estre. “Es gab kein Ego. Wir waren uns so ähnlich, dass wir keine großen Kompromisse beim Setup, den Reifen und so weiter eingehen mussten, aber wir haben unsere Unterschiede auf die richtige Weise genutzt.”

“Wenn ein Fahrer etwas sanfter zu den Reifen und ein anderer etwas aggressiver war, konnten wir tauschen und hatten den bestmöglichen Fahrer in der jeweiligen Situation - wir haben das in Bahrain gemacht, wo eine Reifenmischung bei mir besser funktionierte und eine andere bei André.”

“Unsere Motivation war immer der Sieg von Auto #6 und wir haben uns nie selbst an erster Stelle gesehen. Wir hatten dieselbe Einstellung und darum hat es so gut funktioniert.”

Das Trio räumte auch mit Kritik in den Sozialen Medien auf. In einem Beitrag vor Saisonauftakt wurde behauptet, Estre habe seine beste Zeit hinter sich, Lotterer sei “80 Jahre alt” und Vanthoor sei “der zweitbeste der Vanthoor-Brüder” nach seinem jüngeren Bruder Dries, der für BMW fährt.

“Es gibt immer Memes und sowas, die Leute machen sich einen Spaß daraus und man sollte nicht immer alles zu ernst nehmen. Besonders heutzutage mit Social Media, denn sonst würde man verrückt werden”, sagte Estre.

“Aber wir haben uns auf jeden Fall gedacht, dass wir die Leute vom Gegenteil überzeugen sollten, wenn sie so etwas denken. Ich freue mich, dass wir das geschafft haben. Wenn man nach seiner besten Zeit die Pole in Le Mans holt, der zweitbeste Vanthoor gewinnt und der 80-jährige Lotterer Weltmeister wird, dann ist das gut genug.”

Nach einer langen Saison kehrte Estre nach dem Saisonfinale nach Österreich zurück, wo er sich eine wohlverdiente Pause gönnte. Was macht ein WEC-Champion, der rund 200 Tage im Jahr auf der Strecke verbringt, um abzuschalten?

“Früher habe ich viel Golf gespielt, aber jetzt habe ich zwei Kinder und eine Frau, die arbeitet. Also spiele ich meistens bei den Rennen Golf, wenn ich Zeit habe, oder zwischen den Tests und den Rennen”, sagte er. “Zuhause habe ich letztes Jahr nicht viel gespielt.”

“Im Winter fahre ich gerne Ski, das ist dann wohl mein größtes Hobby. Ein wenig Tennis, ein wenig Golf, wenn ich kann, aber überwiegend verbringe ich Zeit mit meiner Familie, wenn es geht. Letztes Jahr waren wir mehr als 200 Tage unterwegs, da hat man nicht viel Zeit zu Hause.”

“Ich versuche, das Beste daraus zu machen und genieße die Aktivitäten im Freien in der Nähe unseres Hauses in Österreich an einem großen See. Dort gibt es einen Strand, ein paar Freunde haben Boote, also genieße ich den Sommer dort und fahre viel mit dem Fahrrad.”

“Ich muss sagen, dass ich neben dem Rennsport ein sehr einfaches Leben führe, wenn ich zuhause bin. Ich bringe nur die Kinder zur Schule oder in den Kindergarten, fahre sie zum Fußball oder zum Turnen. Ich verbringe viel Zeit zu Hause und genieße meine Freizeit mit einem ruhigen Lebensstil.”

“Ich liebe gutes Essen. Ich bin Franzose, das ist Teil unserer Kultur und liegt uns im Blut. Ich habe das Privileg, eine Frau zu haben, die sehr gut kocht. Ich kaufe gerne gutes Essen in der Gegend ein, das ist einer der Vorteile, hier auf dem Land zu leben.”

“Es gibt einen Hühnerhof, 15 Minuten entfernt, wo man frische Eier und Hühnchen kaufen kann. Wir bauen Gemüse im Garten an und backen Brot. Es ist ein leichtes und einfaches Leben hier, bei dem man frische, lokale Produkte kauft.”

Mit frisch aufgeladenen Batterien blickt Estre nun auf die Saison 2025, die am 28. Februar mit den 1812 km von Katar beginnt. Nachdem Lotterer das Team am Ende des letzten Jahres verlassen hat, werden Estre und Vanthoor stattdessen bei ausgewählten Rennen von Matt Campbell unterstützt, inklusive Katar und den sechs Stunden von Spa.

Mit dem Einstieg von Aston Martin in die Hypercar-Klasse in diesem Jahr und vielen Teams, die nun in ihre zweite Saison gehen, wird der Wettbewerb enger als je zuvor sein. Aber Estre vertraut auf die Fähigkeiten des Teams und startet die Saison mit großem Tatendrang.

“Der Winter war kurz, aber ich habe versucht, mich im Winter fit zu halten. Das ist die längste Zeit, die wir zu Hause verbringen, daher wollte ich eine gute Grundlage für meine körperliche Form schaffen”, sagte er.

“Mental fühle ich mich gut, weil wir gewonnen haben und eine großartige Saison hatten, da musste ich nicht viel tun. Es war ein deutlich einfacherer Winter als im Vorjahr. Wir hatten schon eine Reihe von Meetings mit unseren Ingenieuren. Unsere Crew bleibt sehr ähnlich wie letztes Jahr, nur dass Matt André ersetzt hat. Wir müssen uns also an ihn und er sich an uns anpassen, wir müssen voneinander lernen, um die Gruppe neu zu bilden, womit wir bereits Anfang des Jahres begonnen haben.”

“Den Titel zu verteidigen wird bestimmt schwierig, denn wir wissen, wie hart der Wettbewerb ist. Die meisten der Autos, die letztes Jahr dazu kamen, werden in diesem Jahr stark sein - BMW, Alpine, Aston Martin steigt ein, Cadillac wechselt das Team - ich denke, dass es sogar noch mehr Konkurrenz als im letzten Jahr geben wird.”

“Aber auch wir werden uns verbessern und ich kann es kaum erwarten, loszulegen und zu sehen, was dieser Winter gebracht hat und wie stark wir als Team sein werden.”

Mit zwei Jahren Hypercar-Erfahrung im Rücken, was waren die wichtigsten Erkenntnisse für Estre in der letzten Saison?

“Bei Langstreckenrennen geht es immer darum, ruhig zu bleiben. In den meisten Fällen hat man Zeit, wieder aufzuholen, und das haben wir im letzten Jahr mehrfach bewiesen”, sagte er.

“Es ist immer gut, sich das vor Augen zu halten. Es gab ein oder zwei Rennen - São Paulo zum Beispiel, wo wir nach 30 Minuten einen Plattfuß und fast eine Runde Rückstand hatten. Aber wir haben zurückgeschlagen und sind mit einer guten Strategie und guter Pace Zweiter geworden.”

“Das erinnert einen daran, dass man immer weiterkämpfen muss - das ist meine Einstellung - aber man muss einfach nach vorne schauen und nicht über das nachdenken, was passiert ist. Man muss versuchen, Lösungen zu finden, um das Beste aus der Situation herauszuholen.”

“Wir hatten das im letzten Jahr viele Male, dass wir nach einem schwierigen Qualifying weit hinten gestartet sind. Wir haben als Gruppe gearbeitet und hatten dieselbe Einstellung. Das habe ich nicht erst im letzten Jahr gelernt, aber es wurde wichtiger und wir haben gezeigt, dass man so und mit Konstanz bessere Ergebnisse erzielen kann, als man erwartet.”

“Mit den Jahren, wo ich älter werde - ich stehe näher am Karriereende als am Beginn - wenn man sich die Saison einmal ansieht, denkt man darüber nach, welches Risiko man zu welchem Zeitpunkt des Rennens und des Jahres eingehen will. Das ist die Erfahrung, dass man jedes Jahr besser darin wird, Risiken einzuschätzen.”

Mit seinem Kampfgeist, der stärker als je zuvor ist und einem fantastischen neuen Fahreraufgebot, das die Herausforderung der Titelverteidigung angeht, kann es Estre vor dem Saisonauftakt in diesem Monat kaum erwarten, loszulegen.

Neben dem Auto #6 wird auch der Porsche 963 #5 eine neue Fahrerpaarung haben. Michael Christensen fährt gemeinsam mit dem neuen Porsche Werksfahrer Julien Andlauer, während Mathieu Jaminet aus der IMSA WeatherTech SportsCar Championship die beiden bei ausgewählten Rennen unterstützen wird.

Beide Autos wollen den Titel verteidigen und auch um die Herstellerwertung der WEC kämpfen. Mit einem Kalender aus acht Rennen, zu dem auch die berühmten 24 Stunden von Le Mans gehören, wird 2025 für das Team von Porsche Penske Motorsport sicherlich wieder ein spannendes Jahr.

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* Soweit die Verbrauchs- und Emissionswerte als Spannen angegeben werden, beziehen sie sich nicht auf ein einzelnes, individuelles Fahrzeug und sind nicht Bestandteil des Angebots. Sie dienen allein Vergleichszwecken zwischen den verschiedenen Fahrzeugtypen. Zusatzausstattungen und Zubehör (Anbauteile, Reifenformat usw.) können relevante Fahrzeugparameter wie z.B. Gewicht, Rollwiderstand und Aerodynamik verändern und neben Witterungs- und Verkehrsbedingungen sowie dem individuellen Fahrverhalten den Kraftstoff-/Stromverbrauch, die CO2-Emissionen, die Reichweite und die Fahrleistungswerte eines Fahrzeugs beeinflussen.

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